Freitag, 14. Dezember
Lotte konnte schon wieder nicht schlafen. Allerdings fühlte
es sich heute wesentlich angenehmer an als gestern. Sie lag in Lars‘ Armen in
seinem Bett, mitten in Paris. Hätte ihr das gestern um diese Uhrzeit jemand
prophezeit, sie hätte ihn für verrückt erklärt. Es fühlte sich so unglaublich
gut an, obwohl sie das Gefühl hatte, ihr müsse gleich der Hals durchbrechen,
weil sie eigentlich völlig unbequem lag. Dennoch wollte sie sich nicht aus
seiner Umarmung lösen.
Sie hatten einen wunderschönen Tag gehabt. Lars hatte sie
bereits am Gleis erwartet, sie war ihm in die Arme gefallen und er hatte sie
geküsst, ganz öffentlich, mitten auf dem Bahnsteig, am helllichten Tag. In Köln
wäre das völlig undenkbar gewesen. Zuerst waren sie mit einem Taxi, dessen
Fahrer nach Lottes Überzeugung lebensmüde gewesen sein musste, zu Lars‘ Wohnung
gefahren. Sie war überrascht gewesen, wie gemütlich sie war, obwohl es sich
eigentlich nur um ein kleines provisorisches Apartment handelte, wie er immer
wieder betonte. Lotte machte sich schnell frisch, dann spazierten sie
händchenhaltend durch die Innenstadt, an der Seine entlang und aßen schließlich
in einem schnuckeligen kleinen Restaurant zu Abend. Danach waren sie wieder
durch die Stadt geschlendert, auch wieder händchenhaltend, wie Lotte sich nicht
oft genug vor Augen führen konnte und hatten schließlich noch zwei Gläser Wein
in einem kleinen Bistro getrunken. Sie hatten es beide als unglaublich
befreiend empfunden, einfach tun und lassen zu können was sie wollten ohne
Angst haben zu müssen, es könnte sie irgendjemand von der Uni oder sonstige
Bekannte entdecken. Schließlich hatten sie sich trotz der Kälte auf einer Bank
niedergelassen und hemmungslos herumgeknutscht wie die Teenager. Irgendwann war
es dann doch kalt geworden und sie waren nach Hause geeilt, wo sie sich
gemeinsam unter der heißen Dusche aufgewärmt hatten und aus selbiger hatte Lars
sie direkt ins Bett getragen. Er war noch einmal in die Küche verschwunden und
kehrte mit einer Flasche Champagner und zwei Gläsern zurück. Lotte war sich
vorgekommen wie in einem der von ihr normalerweise verhassten Liebesfilme, aber
diese Realität gefiel ihr außerordentlich gut.
Natürlich waren sie einander immer näher gekommen und hatten
nahtlos an das angeknüpft, was sie auf der Bank unterbrochen hatten. Als Lotte
gerade alkoholgeschwängert darüber nachgegrübelt hatte, ob sie in dieser
Ausnahmesituation eventuell doch ihre guten Vorsätze über Bord werfen konnte
und über Lars herfallen sollte, hatte sein Handy geklingelt. Als habe der liebe
Gott ihr ein Zeichen geben wollen, war es Ute gewesen. Lotte stellte sich tot
und blieb regungslos neben Lars liegen, während er versuchte, das Gespräch so
schnell wie möglich zu beenden. Für sie klang es nicht besonders liebevoll. Sie
fragte sich, ob sie immer so miteinander kommunizierten oder ob es an ihrer
Gegenwart gelegen hatte, dass er sie so schnell abgefertigt hatte. Letztenendes
war es egal gewesen, er hatte das Handy einfach neben das Bett fallen lassen
und war sofort wieder über sie hergefallen. Lotte beschloss, es einfach
geschehen zu lassen. Der Wille war da gewesen, aber ihr Fleisch war schwach und
überhaupt überkam sie beim Alkoholkonsum immer eine zunehmende Fleischeslust.
So war sie also aktiv miteingestiegen ins Geschäft und als es gerade drohte zum
Äußersten zu kommen und Lars sie fragte „Bist du dir sicher, dass du das
wirklich willst?“, hatte erneut sein Handy geklingelt. Lars hatte es ignorieren
wollen, aber Lotte war sich sicher, dass es um 1 Uhr morgens nur Ute sein
konnte, hangelte das Handy unter dem Bett hervor und hielt es ihm hin. „Geh
ran, verdammt, das fällt doch auf!“, zischte sie ihn an. Er hatte
zurückgefaucht, dass die Frau paranoid sei und er längst hätte schlafen können,
war aber trotzdem rangegangen. Lotte hatte das Gespräch mithören können, so nah
hatte er neben ihr gelegen und so durchdringend war Utes Stimme.
„Ja, verflucht, was
ist denn?!“
„Schatzi…“
„Ich hatte geschlafen,
warum weckst du mich?“
„Tut mir leid, Süßer.
Ich vermisse dich so.“
Lotte beschloss, dass nun ihr Einsatz gefragt war und schob
ihren Körper noch dichter an Lars. Dann begann sie, ihn zu streicheln.
„Ute bitte, ich bin
müde. Ich habe morgen einen harten Tag, ich muss schlafen.“
„Du kannst gleich
weiterschlafen. Ich wollte nur kurz deine Stimme hören und wissen, dass du dich
nicht gerade mit irgendeiner kleinen Französin vergnügst.“
Lotte hatte Mühe nicht loszuprusten. Der Alkohol tat wohl
seine Wirkung. Aber sie beherrschte sich und lenkte sich damit ab, ihre
Streicheleinheiten zu verstärken. Ihre Hände wanderten nun weg von Lars‘
Nacken, über seine Brust und seinen Bauch hinunter zu seinen Schenkeln, die sie
nun intensiv zu massieren begann. Er warf ihr einen verzweifelten Blick zu.
„Ute bitte, das ist
doch lächerlich! Du weißt doch, dass ich… aaah…“ Er stöhnte.
„Dass du was?!“ Sie
klang zunehmend hysterisch. Lars guckte Lotte flehend an. Sie grinste nur noch
breiter und ließ ihre Hand nun zwischen seine Schenkel wandern.
„Dass ich hier viel zu
tun habe. Ich muss morgen ausgeschlafen sein, Ute, bitte. Du weißt doch jetzt,
dass ich alleine… mmmmh“ Lotte hatte zugepackt. „Dass ich alleine bin.“
„Lars, was machst du
denn da für Geräusche?!“
„Ich habe mir den Hals
verrenkt. Mach dich schonmal bereit für eine Massage morgen, meine Süße. Das
sind Schmerzen, das kannst du dir nicht vorstellen. Und ich muss jetzt
schlafen, bitte!“
Während er bitte sagte, hatte er Lotte angeblickt, die
gerade Anstalten machte, sich auf ihn zu setzen.
„Ok Schatz, tut mir
leid. Schlaf gut. Ich wollte dich nicht wecken. Ich liebe dich.“
„Bis morgen.“
Lars hatte das Handy nun ausgestellt und endgültig durch den
Raum gefegt. Dann wandte er sich Lotte zu. „Bist du des Wahnsinns?! Du kleines
Miststück, wenn du so anfängst, musst du es auch zu Ende bringen jetzt!“, hatte
er gesagt. Lotte hatte sich nicht mehr lange bitten lassen und ihre guten
Vorsätze zum Teufel gejagt. Es war der absolute Wahnsinn gewesen. Lotte konnte
sich nicht erinnern, jemals auch nur ansatzweise so guten Sex gehabt zu haben.
Vielleicht lag es daran, dass sie so lange hatte warten müssen. Vielleicht auch
an seiner großen Erfahrung, hatte eine böse Stimme geflüstert, die Lotte jedoch
ignorierte. Danach hatte er sie in den Arm genommen und war eingeschlafen. Und
da lag er nun neben ihr und sie konnte nicht schlafen. Sie sah ein, dass sie es
in dieser Lage die ganze Nacht nicht würde tun können und sich morgen nicht
mehr bewegen könnte, dann wäre sie diejenige, die sich wirklich den Hals
verrenkt hatte. Auf eine Massage von Ute konnte sie allerdings verzichten. Sie
löste sich aus Lars‘ Umarmung und legte sich bequem neben ihn. Durch die
Vorhänge fiel ein schwacher Lichtstrahl einer Leuchtreklame von Gegenüber,
gerade genug, um schemenhaft sein Gesicht zu erkennen. Lotte dachte sich, dass
sie ihn einfach die ganze Nacht ansehen könnte und sie wäre glücklich. Sie
musste sich zusammenreißen, normalerweise waren solche Gedanken überhaupt nicht
ihre Art und je mehr sie sich ausgerechnet jetzt in so etwas verlor, desto
schwerer würde es werden, wenn sie ihn morgen wieder gehen lassen musste.
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