Samstag, 15. Dezember 2012

14 - Part II



Ihr Kopf schmerzte. Ute hatte kaum geschlafen. Erst hatte sie sich so geschämt, dass sie Lars‘ Sachen durchsucht hatte, wobei durchsucht zu diesem Zeitpunkt noch nicht das richtige Wort gewesen war. Sie hatte tatsächlich nur Staub gewischt und dabei hier und da ein paar Papiere angehoben und ein wenig durchgesehen. Aber allein das war ihr mit ihrer Intention schon sehr unangenehm gewesen. Fündig geworden war sie nicht. Eigentlich hatte sie nicht einmal konkret gewusst, wonach sie suchte. Natürlich, in gewisser Weise hatte sie gehofft, die Handschrift vom Plätzchenrezept irgendwo wiederzuentdecken, aber sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet. Trotzdem empfand sie ihr Handeln als großen Vertrauensbruch und hatte sich so sehr dafür geschämt, dass sie nicht hatte einschlafen können. Außerdem hatte sie sich ständig gefragt, ob Lars wohl wirklich aus den genannten Gründen länger in Paris bleiben musste oder ob mehr dahinter stecken konnte. Einerseits hatte sie das Gefühl beschlichen, sich immer mehr in etwas hineinzusteigern, was es gar nicht gab und ihm völlig Unrecht zu tun, andererseits hatte sie das Gefühl, ihm auf der Schliche zu sein und weitersuchen zu müssen. All diese Gedanken hatten sie gequält und ihr den Schlaf geraubt, so dass sie schließlich um Mitternacht wieder aufgestanden war und noch einmal in sein Arbeitszimmer gegangen war. Inzwischen war sie soweit, dass sie ohne Staubwedel noch einmal gezielt nachsehen wollte. Die Sünde in Form eines Vertrauensbruchs hatte sie ihrer Meinung nach bereits vorhin mit dem Staubwedel begangen, dann könnte sie sie nun auch systematisch nachsehen und so entweder ihre Gedanken beruhigen, falls sie nicht fündig würde oder aber ihr Gewissen, falls der Verdacht sich erhärten sollte. Lars musste von dem allen ja nie etwas erfahren.
Sie kramte in seinen Schubladen herum und sah sich jegliche handschriftliche Notizen genau an, jedoch ohne sie zu lesen, nur auf der Suche nach dieser Handschrift. Sie dachte, dadurch, dass sie nichts las, mache sie sich vielleicht nicht ganz so schuldig, so drang sie immerhin nicht ganz so weit in seine Intimsphäre ein. Doch auch das systematische Durchsehen seiner Korrespondenzen führte sie nicht weiter, es gab nirgendwo ein Schreiben, auf dem sich diese Handschrift wiedergefunden hätte. Sie saß in seinem Schreibtischstuhl und betrachtete ihr Hochzeitsfoto, das in einem Holzrahmen auf dem Schreibtisch stand. Nun hatte sie den ganzen Schreibtisch durchgeschaut und nichts gefunden, was auch nur ansatzweise verdächtig erschien. Sie hätte das alles nicht tun dürfen, sie schämte sich. Sie hatte sich da in irgendetwas verrannt und gefährdete durch ihre wahnwitzigen Ideen am Ende noch ihre Ehe. An was für Dinge sie inzwischen schon dachte – allein, dass ihr der Gedanke gekommen war, er könnte Julies Erzeuger sein. Da kam ihr plötzlich eine Idee. Wäre er der Vater, müsste er Unterhalt zahlen und darüber würden vielleicht seine Kontoauszüge Aufschluss geben. Nicht, dass sie ernsthaft daran glaubte, aber sie beschloss, noch einen letzten Blick auf seine Kontoauszüge zu werfen, bevor sie ihre fürchterliche Schnüffelei endlich und ein für alle Mal beenden wollte. Sie glaubte sich zu erinnern, dass er seine Kontoauszüge in dem kleinen Schränkchen aufbewahrte, in dem auch die Ordner mit dem Versicherungskram und solchen Dingen standen. Sie öffnete die Türe und nahm den Ordner mit den Kontoauszügen heraus. Natürlich fanden sich keine Überweisungen für Julie und auch sonst konnte sie keine verdächtigen Transaktionen entdecken. Sie wollte den Ordner wieder zurückstellen, als sie sah, dass die anderen Ordner, die alle dichtgedrängt dort gestanden hatten, gekippt waren. Sie war sich unsicher, an welcher Stelle genau der Ordner mit den Kontoauszügen gestanden hatte. Sie verfluchte sich, so etwas hatte ja passieren müssen. Wenn sie den Ordner nun falsch einräumte, würde er am Ende bemerken, dass sie hier herumgewühlt hatte. Andererseits waren in dem Schrank immerhin auch Unterlagen über gemeinsame Versicherungen, also hatte sie auch eine Berechtigung, hier etwas zu suchen, selbst wenn diese Dinge normalerweise sein Job waren und sie sich nicht dafür interessierte. Also musste sie nun einfach so tun, als hätte sie etwas davon gesucht. Sie überlegte kurz und zog dann kurzentschlossen den Ordner mit der Aufschrift Kfz-Versicherung heraus. Ihre Schwester hatte ihr heute am Telefon berichtet, dass sie sich eine Beule ins Auto gefahren hatte und sie würde einfach behaupten, sie hätte nachsehen wollen, ob ihre Versicherung in so einem Fall zuständig wäre oder nicht, falls Lars etwas merkte und nachfragen sollte. Als sie den Ordner herausgezogen hatte, purzelten die restlichen Ordner im Schrank wie die Dominosteine aufeinander. Sie seufzte und begann, die Ordner aufzurichten und zusammenzuschieben, damit sie die beiden entnommenen Ordner wieder einräumen konnte. Sie hatte es fast geschafft und wollte zum Schluss den Ordner mit den Versicherungsunterlagen wieder zwischen die anderen schieben, als sie ihn nicht dazwischengedrückt bekam. Er war einfach zu dick. Das konnte doch nicht wahr sein, vorher ging es doch auch. Da sah sie, dass die letzten beiden Ordner vorstanden und sich gleichzeitig breiter machten, als sie gefüllt waren. Wütend drückte sie dagegen, aber sie wollte nicht richtig reingehen. Sie bemerkte, dass irgendetwas zwischen Schrank und Ordner klemmen musste. Wahrscheinlich hatte Lars bei diesem ganzen Chaos auch noch irgendwelche Sachen nicht richtig abgeheftet, die nun rausgerutscht waren und alles blockierten. Ihre Aggressionen wuchsen. Sie hätte es einfach lassen sollen, das hatte sie nun davon. Und trotzdem, dass dieser Mann auch nicht einfach mal irgendwelche Sachen aussortieren konnte, der ganze Kram wurde bestimmt nicht mehr komplett gebraucht. Sie zog die beiden widerspenstigen Ordner aus dem Schrank, um zu sehen, was dahinter klemmt und erblickte zu ihrer Überraschung nicht etwa irgendwelche schlecht abgehefteten Dokumente, sondern irgendein undefinierbares, dunkelblaues Stück Stoff. Sie zog es hervor und hielt eine Art Osterkorb aus dunkelblauem Filz in der Hand. Sie war sich unsicher, ob dieses Etwas selbstgenäht war, auf jeden Fall hatte diese Filztasche die Form eines Hasenkopfes und die Henkel der Tasche waren gleichzeitig die Hasenohren. Was zum Teufel machte diese Tasche hier? Sie konnte sich nicht entsinnen, dass sie ihr Ostern begegnet wäre. Ob Lars sie als Ostergeschenk gekauft und dann vergessen hatte, weil er sie für sich selbst zu gut versteckt hatte? Sie warf einen Blick in die Tasche, auch wenn sie sich leer anfühlte. Ihr purzelte ein winzig kleines Schokoladentäfelchen entgegen, darauf zwei kleine Hasen und die Aufschrift „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“. Natürlich, das waren diese Hasen aus dem Kinderbuch, sie erkannte sie wieder. Und plötzlich erkannte sie etwas ganz anderes wieder. Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Die Hasentüte, in der er die Plätzchen gehabt hatte und die sie bei Doro wiederentdeckt hatte. Das hier war kein vergessenes Ostergeschenk, er hatte mit Sicherheit allen Grund, diese Tasche hier zu verstecken. Sie stopfte die Tasche zurück und versuchte erneut, die Ordner alle wieder in den Schrank zu quetschen, was nicht einfacher geworden war, weil ihre Finger nun auch noch zitterten. Aber zumindest ihr Schamgefühl hatte nachgelassen, sie war fündig geworden, wenn auch ihr Fund nicht das war, womit sie eigentlich gerechnet hatte, aber sie hatte einen weiteren Beweis, dass sie nicht paranoid war, sondern allen Grund hatte, misstrauisch zu sein. Sie musste morgen unbedingt mit Susanne darüber besprechen und sich eine Strategie überlegen, wie sie mit Lars umgehen sollte, wenn er wieder da war.
Plötzlich fragte sie sich wieder, warum er überhaupt noch in Paris war. Vielleicht wohnte sein Hase auch in Paris. Aber nein, das konnte nicht sein, die Plätzchen waren ja hier gewesen. Oder gab es am Ende in Paris auch noch einen Hasen? Sie beschloss, ihn anzurufen, der Gedanke, er könnte gerade in Paris mit einer anderen Frau im Bett liegen, schien ihr unerträglich.

*****

Lars betrachtete liebevoll Charlotte, deren Kopf an seiner Schulter lehnte. Sie war vor wenigen Minuten eingeschlafen, nachdem sie sich an ihn gekuschelt hatte, nachdem sie vorher bereits angekündigt hatte, beim Zugfahren immer schläfrig zu werden. Wahrscheinlich lag es nicht nur an der Zugfahrt, sondern vorallem an der Tatsache, dass sie letzte Nacht bestenfalls eine halbe Stunde geschlafen hatten, dachte er zufrieden lächelnd. Seine liebe, süße, kleine Rebellin hatte ihren Widerstand aufgegeben und nun doch mit ihm geschlafen. Sie hatte ihn bereits den ganzen Abend verrückt gemacht und während des Anrufs von Ute hatte sie es endgültig auf die Spitze getrieben. Danach hatte er sie spaßeshalber aufgefordert, keine halben Sachen zu machen und es nun auch zu Ende zu bringen, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, dass sie es tatsächlich tun würde. Doch sie hatte nur gegrinst und tatsächlich weitergemacht damit, ihn zwischen den Schenkeln zu massieren. Er hatte sie noch darauf hingewiesen, dass sie das jetzt bitte nur weitermachen solle, wenn sie auch wirklich mit ihm schlafen wolle, dass er sie zu nichts drängen wolle, was sie vielleicht nicht wolle, aber dass sie nicht weitermachen dürfe, falls sie es nicht wolle, weil er sonst vermutlich platzen müsse vor Lust. Dann hatte er nicht mehr weiterreden können, weil er plötzlich ihre Zunge im Mund hatte. Weitere Worte waren dann auch nicht mehr von Nöten gewesen, sie hatte sich auf seinen Schoss gesetzt und die explosionsgefährdete Region gut verstaut. Sie hatten unglaublichen Sex gehabt, auch wenn er so wild gewesen war, dass er danach tatsächlich kurz eingenickt war, weil er so fertig gewesen war. Das Problem hatte er bei Ute noch nie gehabt und es war ihm einigermaßen peinlich gewesen, aber Charlotte hatte nur gelacht, als sie ihn mit fordernden Küssen wieder geweckt hatte. Sie hatten sich immer und immer wieder geliebt bis zum Morgen, an Schlaf war nicht zu denken gewesen.
Irgendwann waren sie dann doch noch kurz eingeschlafen, aber bald wieder erwacht und gemeinsam frühstücken gegangen. Dann waren sie noch ein wenig durch die Stadt gebummelt, bevor sie den Zug nach Hause hatten nehmen müssen. Lars schmerzte der Gedanke, dass sich ihre Wege gleich im Kölner Hauptbahnhof wieder trennen würden, weil sie dort schließlich jemand sehen könnte. Er konnte seinen Blick nicht von der schlafenden Charlotte lösen. Wie unschuldig und verletzlich sie plötzlich wirkte. Er war sich auf einmal sicher, dass er nicht mehr länger warten konnte und etwas ändern musste, er wollte solche Momente mit ihr nicht nur in Paris genießen können, er musste mit Ute reinen Tisch machen.

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