Montag, 17. Dezember 2012

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Sonntag, 16. Dezember

Es war ein mieses Regenwetter draußen gewesen. Ute war gerade vom Morgenspaziergang mit Hugo zurück und entschied sich, direkt unter die heiße Dusche zu gehen. Eigentlich war es nicht wirklich kalt draußen, eher frühlingshaft, trotzdem fühlte sie sich völlig durchgefroren. Außerdem schlief Lars noch tief und fest, es bestand als kein Grund zur Eile mit dem Frühstück.
Sie genoss das heiße Wasser auf ihrem Körper, langsam wurde ihr wieder wärmer. Nach einer Viertelstunde stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab. Gerade wollte sie in ihre Unterwäsche schlüpfen, als sie es sich anders überlegte. Sie tapste nackt zurück ins Schlafzimmer und kuschelte sich neben den immer noch schlafenden Lars ins Bett. Erst betrachtete sie ihn einfach nur eine Weile und genoss es, ihn neben sich liegen zu haben. Sie fand ihn unglaublich schön. Seine markanten Gesichtszüge bildeten einen feinen Kontrast zu den längeren blonden Haaren. Sie  kuschelte sich an ihn und er nahm sie im Halbschlaf in den Arm.
Sie war so froh, dass sie sich gestern Abend ausgesprochen hatten. Endlich hatte der Spuk ein Ende und sie konnte die Zeit mit ihm wieder richtig genießen. Ihnen beiden war anscheinend überhaupt nicht klar gewesen, wie viele Missverständnisse ihre Beziehung seit längerem mehr und mehr belastet hatten. Sie hatte sich wirklich viel zu sehr in irgendwelche Dinge hineingesteigert und Gespenster gesehen und sie schämte sich unglaublich dafür. Ein Glück, dass er sie gestern Abend angesprochen hatte, warum sie eigentlich so komisch sei. Dabei hatte sie sich eigentlich gar nichts anmerken lassen wollen, das war die Strategie gewesen, die sie mit Susanne besprochen hatte. Ruhig bleiben und abwarten und erstmal sehen, dass sie ihm weiter auf die Schliche kam. Aber sie konnte einfach nicht anders, nachdem sie diese Hasentasche gefunden hatte und all die anderen Sachen passiert waren und dann auch noch sein verlängerter Aufenthalt in Paris, es war zuviel für sie gewesen. Er war so strahlend nach Hause gekommen am Freitag Abend und sie war sich so sicher gewesen, dass dieses Strahlen nichts mit ihr zu tun hatte, dass es sie fast umgebracht hatte. Sie hatte als einzigen Ausweg gesehen ins Bett zu verschwinden, da sie die Auseinandersetzung scheute. Gestern hatte sie dann versucht, sich zusammenzureißen, es war ihr auch besser gelungen, aber abends war die Situation eskaliert. Er hatte sich neben sie auf’s Sofa gesetzt und angefangen, ihren Nacken zu massieren. Sie hatte seine Berührungen nicht ertragen können, weil sie sich ständig vorstellen musste, dass er tags zuvor eventuell noch eine andere Frau berührt hatte und so hatte sie ihn angefahren, er sollte sie nicht anfassen. Er war ganz erschrocken zurückgezuckt und dann hatte er sie gefragt, was denn eigentlich los sei, sie wäre seit gestern Abend so komisch. Und plötzlich war alles aus ihr herausgesprudelt – die Plätzchen, die Frau im Park, der verlängerte Paris-Aufenthalt, seine Verspätung auf dem Weihnachtsmarkt und die Hasentasche, einfach alles hatte sie ihm aufgezählt und ihn dann gefragt, ob er eine andere habe. Er hatte sie völlig fassungslos angesehen die ganze Zeit und sie dann gefragt, ob das ihr Ernst sei. In dem Moment wurde ihr bewusst, wie absurd und paranoid das alles klingen musste und sie fing bereits an, sich für ihre lächerlichen Spinnereien zu schämen. Aber Lars hatte ganz bezaubernd und verständnisvoll reagiert, sie ihn den Arm genommen und ihr die Tränen weggeküsst und dann ein Missverständnis nach dem anderen aus dem Weg geräumt. Die Plätzchen waren bereits vorher in seiner Jackentasche gewesen, er hatte sie vor ein paar Tagen an der Kölner Uni von Charles Dupont, einem Kollegen, geschenkt bekommen, der allergisch gegen Nüsse war. Lars wusste nicht, woher Dupont die Plätzchen gehabt hatte oder warum sie in einer Hasentüte waren, meinte aber, er könnte ihn gerne fragen, falls sie Interesse daran hätte. Sie hatte dies natürlich verschämt verneint. Bei der Begegnung im Park hatte es sich um eine gewisse Maria gehandelt, die er öfters auf der Hundewiese traf und die an diesem Abend ohne ihren Hund unterwegs gewesen war, weil ihr Mann bereits mit dem Hund draußen war und sie auf der Suche nach ihm, weil er bereits so lange weg war. Offensichtlich war sie also nicht die einzige Frau, die sich Sorgen machte, wenn der Mann mit dem Hund unterwegs war und hinterherschlich. Dass sie das zugeben musste, war ihr sehr peinlich gewesen, aber es war ihr in dem Moment einfach nur noch egal gewesen, es war alles aus ihr herausgesprudelt und Lars hatte sich bisher auch nicht abfällig über ihre Spionageaktion geäußert, wofür sie sehr dankbar war. Auch seine Verspätung auf dem Weihnachtsmarkt und den längeren Aufenthalt in Paris hatte er ihr ganz ruhig und geduldig noch einmal erklärt und alles klang plötzlich völlig logisch. Sie hatte sich so sehr geschämt, dass sie ihn solch unglaubliche Dinge unterstellt hatte und hatte ihn unter Tränen um Entschuldigung gebeten. Er hatte nur gesagt, er sei froh, dass es geklärt sei und nun wäre doch alles gut, er sei ihr nicht böse, es sei bestimmt auch viel für sie, dass er so wenig zu Hause sei und er wäre so froh und stolz, so eine tolle Frau zu haben, die zu Hause alles so gut im Griff hätte und er könne es immer kaum erwarten, wieder zu ihr nach Hause zu kommen und würde die Zeit so sehr genießen, dass er sich niemals eine andere Frau an seiner Seite vorstellen könne. Sie sei ein Dummerchen und solle sich nicht so viele Sorgen machen, hatte er gesagt und dann hatte er sie von der Couch ins Bett getragen und so lange ihre Tränen weggeküsst, bis sie endlich aufgehört hatte zu weinen und danach hatte er zärtlich wie noch nie mit ihr geschlafen, es war wunderschön gewesen.
Danach hatte sie sogar gewagt, ihn noch einmal auf die Kinderthematik anzusprechen und er hatte ihr versprochen, er würde spätestens nach dem kommenden Sommersemester die Segel in Paris streichen und dann wäre es auch an der Zeit für Kinder, ob sie so lange noch warten könne. Natürlich, hatte sie ihm versichert und sich zusätzlich auch noch dafür geschämt, heimlich die Pille abgesetzt zu haben. Anfangen wollte sie damit trotzdem jetzt auch nicht wieder, dafür musste sie sich noch eine Lösung überlegen. Aber sie hatte gestern auch nicht das Gefühl, als wäre es wirklich ein Problem, falls sie vorher schon schwanger werden sollte, sie hätte dann eben Lars nur nicht immer vor Ort. Andererseits dauerte es sowieso erst einmal neun Monate, bis das Kind da war und bis dahin war das Sommersemester auch zu Ende. Also war alles gar kein Problem, sie musste es Lars nur irgendwie verkaufen, ohne dass er merkte, dass sie längst heimlich die Pille abgesetzt hatte.
Sie kuschelte sich noch dichter an ihn und hatte sich in den letzten Monaten selten so glücklich in seinen Armen gefühlt. Alles würde gut werden.

*****

Lotte hatte den Sonntag mit unspektakulären Dingen verbracht. Sie war kurz in der Stadt gewesen, es war verkaufsoffener Sonntag und sie hatte die Gelegenheit nutzen wollen, noch ein paar Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Allerdings war es so überfüllt gewesen, dass sie schnell wieder heimgefahren war und außer einem historischen Roman für ihren Vater auch keinerlei Geschenke erstanden hatte. Den Rest des Tages hatte sie damit verbracht, liegengebliebene Sachen für die Uni zu erledigen und ein paar Plätzchen hatte sie auch noch gebacken.
Nun waren es nur noch gut 20 Minuten, bis der Tatort begann und sie beschloss, vorher noch einmal nachzusehen, ob Lars sich womöglich gemeldet hatte. Er hatte zwar angekündigt, sich vermutlich erst nach dem Wochenende zu melden, trotzdem war Lottes Ungeduld groß und sie wollte wissen, wie es mit Ute ausgegangen war und ob er bereits ihr gehörte. Rausgeschmissen hatte sie ihn offensichtlich nicht oder er war anderweitig untergekommen. Aber wahrscheinlich war Ute keine Frau, die einen Mann vor die Tür setzte.
Sie beschloss, Lars noch eine Mail zu schicken, etwas anderes konnte sie ja doch nicht tun.



Betreff: Und?
20:10 16.12.2012

Lieber Lars,

ich habe viel an Dich gedacht dieses Wochenende und mich gefragt, wie wohl die Situation bei Euch ist. Wie hat Ute reagiert? Wusste sie von uns? Habt Ihr Euch schon endgültig getrennt und wie hast Du es ihr beigebracht? Ich hoffe, es war nicht allzu schmerzhaft.
Ich freue mich so sehr, von Dir zu hören. Ich vermisse Dich!!!

Kuss

Lotte

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