Mittwoch, 19. Dezember 2012

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Mittwoch, 19. Dezember

Sofort nachdem er sein Büro an der Uni betreten hatte, fragte Lars seine Mails ab. Immer noch keine Antwort von Charlotte. Er seufzte. Bis heute Abend würde er noch abwarten, wenn bis dahin nichts da wäre, würde er sie anrufen. Auch sich selbst zuliebe, noch so einen Abend wie den gestrigen hielt er nicht durch. Zwei Flaschen Rotwein hatte er in der Bar geleert, sein Kopf erinnerte ihn gerade schmerzlich daran. Immerhin daran erinnerte er sich noch. Den Namen seines gestrigen Bratens vermochte er trotz aller Anstrengungen nicht zu erinnern. Er wusste nur noch, dass sie klein und dunkelhaarig gewesen war. Hoffentlich war es keine Studentin gewesen, er hatte sie gar nicht gefragt, was sie macht. Nach ihrem Namen hatte er gefragt. Aber ob sie Marie, Marianne oder doch Monique geheißen hatte – er hatte keine Ahnung. Das war ihm noch nie passiert. Er legte immer sehr viel Wert darauf, wenigstens den Namen seiner Beute zu kennen, schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Männer, die sich wahllos durch die Gegend vögelten.

*****

Mühsam quälte er sich aus dem Bett, um dem erbarmungslosen Fiepen des Weckers am anderen Ende des Raumes ein Ende zu setzen. Es war spät geworden gestern Abend, viel zu spät. Vorallem aber hatte er zuviel getrunken. So viel, dass er mit Lotte nach Hause gegangen war. Schlimmer noch, dass er sich dazu hinreißen lassen hatte, wieder mit ihr ins Bett zu gehen. Er hatte sie zufällig auf der Zülpicher Straße getroffen. Sie hatte sich gerade von ihrer Freundin getrennt und wollte sich auf dem Heimweg machen, was auch sein Plan gewesen war. Dann hatten sie plötzlich voreinander gestanden im Getümmel. Eigentlich hatte er sie ignorieren wollen, aber sie hatte ihm keine Chance gelassen. Sie hatte genau wie er schon das ein oder andere Glas zuviel intus. Schließlich hatte sie ihn breitgeschlagen, noch einen Absacker zu trinken, bevor sich ihre Wege wieder trennen würden. Auf die guten alten Zeiten, hatte sie gesagt. Dabei waren sie nicht gut gewesen. Meistens jedenfalls. Gestern Abend waren sie eigentlich gut gewesen. Zumindest der Sex nach dem Absacker. Sie hatte bereits in der Bar so begierig an ihm herumgespielt, dass er ihr Angebot nicht ausschlagen konnte, als sie ihn fragte, ob er noch kurz mit zu ihr kommen wolle. Miststück. Er hatte das Foto von ihrem verdammten Lover auf dem Schreibtisch stehen sehen. Wahrscheinlich war er gerade mal wieder nicht zur Verfügung und sie brauchte einen Lückenbüßer, da war er ihr gerade recht gekommen. Und er war auch noch dämlich genug gewesen, sich wieder darauf einzulassen. Er hasste sich dafür. Aber noch viel mehr hasste er sie. Er nahm ihren Brief vom Tisch, der seit Wochen ungeöffnet dort lag und inzwischen schon einige Löcher von ausgedrückten Zigaretten aufwies. Es reichte. Er stopfte den Brief in den Mülleimer und kippte dann den verschimmelten Nudelauflauf vom Freitag darüber. Wenigstens hatte er sich ein bisschen Würde bewahrt und war gestern Nacht nicht bei ihr geblieben. Trotzdem war es ein Fehler gewesen, ihr wieder nachzugeben, sich wieder von ihr um den Finger wickeln zu lassen. Das würde sie ihm büßen…

*****

Lotte fühlte sich nun endlich bereit Lars zu antworten. Gestern Abend hatte sie in einer Art Trotzreaktion und begünstigt durch den ein oder anderen Cocktail seine Einstellung adaptiert und sich genommen, was ihr ihrer Meinung nach zustand. Es war mit Sicherheit ein Fehler gewesen, dass sie dabei auf Altbewährtes zurückgegriffen hatte, statt sich wie er es getan hätte unverfänglich irgendeinen Unbekannten aufzureißen, aber sie hatte es als Schicksal gesehen, dass sie sich ausgerechnet gestern Abend über den Weg gelaufen waren. Kurz zuvor hatte sie sich noch ausgemalt, wie Lars gerade in Paris seinen Spaß hatte. Sie war sich sicher, dass er dort weiterhin ungeniert auf die Jagd ging, für seine „unverbindlichen Beutezüge“ war die Lage mit Ute bestimmt kein Hindernis. Der Gedanke, wie er sich gerade mit einer anderen vergnügte, während sie sich gedulden sollte, hatte ihren Frust auf die Spitze getrieben und so war ihr Jan gerade rechtgekommen zum Abreagieren. Der Sex war wie immer bombastisch gewesen, daran hatte sich in all den Jahren nichts geändert. Wenn sie auch sonst wie Feuer und Wasser zu sein schienen, im Bett harmonierte es. Doro hatte ihr einmal eine Postkarte mit der Aufschrift „Männer und Frauen passen nicht zusammen – außer in der Mitte.“ geschickt und sie hatte sofort gedacht, dass der Erfinder dieses Spruchs zweifellos an Menschen wie sie und Jan gedacht haben musste.
Ihren Frust war sie auf jeden Fall gestern Abend im Bett losgeworden, auch wenn die Situation am Ende fast wieder eskaliert war. Es war egal. Sollte Jan schmollen oder zetern, aus ihnen würde in diesem Leben sowieso nichts mehr und ansonsten hatte der gestrige Abend seinen Zweck erfüllt. Sie fuhr den Rechner hoch, um Lars zu antworten.



Betreff: Aha
15:42 19.12.2012

Lars,

lieb bist Du mir gerade nicht. Ja, ich war enttäuscht, als ich die Mail gelesen habe. Ich war maßlos enttäuscht. Natürlich kann ich es nachvollziehen was Du schreibst, aber ich habe meine Zweifel. Vielleicht ist es unfair Dir gegenüber, vielleicht sollte ich sie auch gar nicht äußern, aber ich tu’s trotzdem. Lars, es tut mir leid, aber ich weiß nicht, ob ich Dir das glauben kann. Es ist nicht böse gemeint, aber ich habe einfach Angst, dass es nur eine Ausflucht ist und Du es dann nach Weihnachten doch nicht durchziehst. Nachher ist das Weihnachtsfest im Hause Laslandes so harmonisch und wundervoll, dass alle Deine Versprechungen dahin sind. Davor habe ich einfach Angst. Vorwerfen kann ich es Dir nicht, wie sollte ich Dir vorwerfen, Dich für Deine Frau zu entscheiden? Ein bisschen Moral habe ich mir noch aufbewahrt.

Insofern, ja, die Zeit halten wir auch noch durch, kein Problem. Falls dann denn wirklich was passiert. Ich weiß, wie viele leere Versprechungen Du Ute gegenüber bereits abgegeben hast, vielleicht ist das mein Problem. Bitte, tu mir nicht das Gleiche an. Bzw. das wirst Du nicht, ich werde das nicht mitmachen, da kannst Du Gift drauf nehmen!

Und jetzt sage ich Dir auch was, was Dir nicht gefallen wird, wir sind schließlich ehrlich zueinander, gell?!
Ich bin mir sehr sicher, dass Du trotz der Situation in Paris nicht auf Deine Fleischration verzichtet hast, liege ich damit richtig? Das freut mich – dann hatten wir ja gestern Abend beide Spaß…

Grüße

Lotte

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