Mittwoch, 19. Dezember
Sofort nachdem er sein Büro an der Uni betreten hatte,
fragte Lars seine Mails ab. Immer noch keine Antwort von Charlotte. Er seufzte.
Bis heute Abend würde er noch abwarten, wenn bis dahin nichts da wäre, würde er
sie anrufen. Auch sich selbst zuliebe, noch so einen Abend wie den gestrigen
hielt er nicht durch. Zwei Flaschen Rotwein hatte er in der Bar geleert, sein
Kopf erinnerte ihn gerade schmerzlich daran. Immerhin daran erinnerte er sich
noch. Den Namen seines gestrigen Bratens vermochte er trotz aller Anstrengungen
nicht zu erinnern. Er wusste nur noch, dass sie klein und dunkelhaarig gewesen
war. Hoffentlich war es keine Studentin gewesen, er hatte sie gar nicht
gefragt, was sie macht. Nach ihrem Namen hatte er gefragt. Aber ob sie Marie,
Marianne oder doch Monique geheißen hatte – er hatte keine Ahnung. Das war ihm
noch nie passiert. Er legte immer sehr viel Wert darauf, wenigstens den Namen
seiner Beute zu kennen, schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Männer, die
sich wahllos durch die Gegend vögelten.
*****
Mühsam quälte er sich aus dem Bett, um dem erbarmungslosen
Fiepen des Weckers am anderen Ende des Raumes ein Ende zu setzen. Es war spät
geworden gestern Abend, viel zu spät. Vorallem aber hatte er zuviel getrunken.
So viel, dass er mit Lotte nach Hause gegangen war. Schlimmer noch, dass er
sich dazu hinreißen lassen hatte, wieder mit ihr ins Bett zu gehen. Er hatte
sie zufällig auf der Zülpicher Straße getroffen. Sie hatte sich gerade von
ihrer Freundin getrennt und wollte sich auf dem Heimweg machen, was auch sein
Plan gewesen war. Dann hatten sie plötzlich voreinander gestanden im Getümmel.
Eigentlich hatte er sie ignorieren wollen, aber sie hatte ihm keine Chance
gelassen. Sie hatte genau wie er schon das ein oder andere Glas zuviel intus.
Schließlich hatte sie ihn breitgeschlagen, noch einen Absacker zu trinken,
bevor sich ihre Wege wieder trennen würden. Auf die guten alten Zeiten, hatte
sie gesagt. Dabei waren sie nicht gut gewesen. Meistens jedenfalls. Gestern
Abend waren sie eigentlich gut gewesen. Zumindest der Sex nach dem Absacker.
Sie hatte bereits in der Bar so begierig an ihm herumgespielt, dass er ihr
Angebot nicht ausschlagen konnte, als sie ihn fragte, ob er noch kurz mit zu
ihr kommen wolle. Miststück. Er hatte das Foto von ihrem verdammten Lover auf
dem Schreibtisch stehen sehen. Wahrscheinlich war er gerade mal wieder nicht
zur Verfügung und sie brauchte einen Lückenbüßer, da war er ihr gerade recht
gekommen. Und er war auch noch dämlich genug gewesen, sich wieder darauf
einzulassen. Er hasste sich dafür. Aber noch viel mehr hasste er sie. Er nahm
ihren Brief vom Tisch, der seit Wochen ungeöffnet dort lag und inzwischen schon
einige Löcher von ausgedrückten Zigaretten aufwies. Es reichte. Er stopfte den
Brief in den Mülleimer und kippte dann den verschimmelten Nudelauflauf vom
Freitag darüber. Wenigstens hatte er sich ein bisschen Würde bewahrt und war
gestern Nacht nicht bei ihr geblieben. Trotzdem war es ein Fehler gewesen, ihr
wieder nachzugeben, sich wieder von ihr um den Finger wickeln zu lassen. Das
würde sie ihm büßen…
*****
Lotte fühlte sich nun endlich bereit Lars zu antworten.
Gestern Abend hatte sie in einer Art Trotzreaktion und begünstigt durch den ein
oder anderen Cocktail seine Einstellung adaptiert und sich genommen, was ihr
ihrer Meinung nach zustand. Es war mit Sicherheit ein Fehler gewesen, dass sie
dabei auf Altbewährtes zurückgegriffen hatte, statt sich wie er es getan hätte
unverfänglich irgendeinen Unbekannten aufzureißen, aber sie hatte es als
Schicksal gesehen, dass sie sich ausgerechnet gestern Abend über den Weg
gelaufen waren. Kurz zuvor hatte sie sich noch ausgemalt, wie Lars gerade in
Paris seinen Spaß hatte. Sie war sich sicher, dass er dort weiterhin ungeniert
auf die Jagd ging, für seine „unverbindlichen Beutezüge“ war die Lage mit Ute
bestimmt kein Hindernis. Der Gedanke, wie er sich gerade mit einer anderen
vergnügte, während sie sich gedulden sollte, hatte ihren Frust auf die Spitze
getrieben und so war ihr Jan gerade rechtgekommen zum Abreagieren. Der Sex war
wie immer bombastisch gewesen, daran hatte sich in all den Jahren nichts
geändert. Wenn sie auch sonst wie Feuer und Wasser zu sein schienen, im Bett
harmonierte es. Doro hatte ihr einmal eine Postkarte mit der Aufschrift „Männer und Frauen passen nicht zusammen –
außer in der Mitte.“ geschickt und sie hatte sofort gedacht, dass der
Erfinder dieses Spruchs zweifellos an Menschen wie sie und Jan gedacht haben
musste.
Ihren Frust war sie auf jeden Fall gestern Abend im Bett
losgeworden, auch wenn die Situation am Ende fast wieder eskaliert war. Es war
egal. Sollte Jan schmollen oder zetern, aus ihnen würde in diesem Leben sowieso
nichts mehr und ansonsten hatte der gestrige Abend seinen Zweck erfüllt. Sie
fuhr den Rechner hoch, um Lars zu antworten.
Betreff: Aha
15:42 19.12.2012
Lars,
lieb bist Du mir
gerade nicht. Ja, ich war enttäuscht, als ich die Mail gelesen habe. Ich war
maßlos enttäuscht. Natürlich kann ich es nachvollziehen was Du schreibst, aber
ich habe meine Zweifel. Vielleicht ist es unfair Dir gegenüber, vielleicht
sollte ich sie auch gar nicht äußern, aber ich tu’s trotzdem. Lars, es tut mir
leid, aber ich weiß nicht, ob ich Dir das glauben kann. Es ist nicht böse
gemeint, aber ich habe einfach Angst, dass es nur eine Ausflucht ist und Du es
dann nach Weihnachten doch nicht durchziehst. Nachher ist das Weihnachtsfest im
Hause Laslandes so harmonisch und wundervoll, dass alle Deine Versprechungen
dahin sind. Davor habe ich einfach Angst. Vorwerfen kann ich es Dir nicht, wie
sollte ich Dir vorwerfen, Dich für Deine Frau zu entscheiden? Ein bisschen
Moral habe ich mir noch aufbewahrt.
Insofern, ja, die Zeit halten wir auch noch durch, kein Problem. Falls dann denn wirklich was passiert. Ich weiß, wie viele leere Versprechungen Du Ute gegenüber bereits abgegeben hast, vielleicht ist das mein Problem. Bitte, tu mir nicht das Gleiche an. Bzw. das wirst Du nicht, ich werde das nicht mitmachen, da kannst Du Gift drauf nehmen!
Und jetzt sage ich Dir
auch was, was Dir nicht gefallen wird, wir sind schließlich ehrlich zueinander,
gell?!
Ich bin mir sehr
sicher, dass Du trotz der Situation in Paris nicht auf Deine Fleischration
verzichtet hast, liege ich damit richtig? Das freut mich – dann hatten wir ja
gestern Abend beide Spaß…
Grüße
Lotte
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