Samstag, 22. Dezember 2012

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Samstag, 22. Dezember

Ute hatte die ganze Nacht kaum geschlafen und um kurz vor 6 Uhr in der Früh hatte sie aufgegeben und war aufgestanden. Sie war einfach zu aufgeregt vor dem, was der heutige Tag bringen würde. Lars war gestern Abend noch auf der Weihnachtsfeier vom Institut gewesen, zu der auch ehemalige Mitarbeiter eingeladen waren. Sie selbst hatte Kopfschmerzen vorgeschoben und war zu Hause geblieben. Sie hatte nicht wirklich den Eindruck gehabt, als wäre er traurig darüber gewesen. Andererseits war sie froh gewesen, dass er nicht versucht hatte, sie zu überreden. So hatte sie wenigstens in Ruhe mit Susanne besprechen können, wie sie heute vorgehen sollte. Lars hatte ihr bereits kurz nachdem sie aus der Dusche gestiegen waren eröffnet, dass er am kommenden Vormittag nochmal alleine in die Stadt müsse, er habe noch eine ganz besondere Überraschung für sie, um die er sich kümmern müsse. Ute war sich der Ironie dieser Aussage durchaus bewusst, verkniff sich aber jeden Kommentar. Da Lars kurz zuvor an seinem Handy gewesen war, war für sie die Sache klar. Ihr Plan hatte funktioniert, „Charles“ hatte die SMS erneut geschickt und die beiden waren verabredet. So hatte sie also die Gelegenheit genutzt, als Lars auf der Weihnachtsfeier war mit Susanne das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie hatten sagenhafte zweieinhalb Stunden miteinander telefoniert und Susanne hatte sie davon überzeugt, dass es das Beste war, weiterhin gute Miene zum bösen Spiel zu machen, damit er sich in Sicherheit wiegte und sie rausfinden konnte, was wirklich vor sich ging, bevor er ihr wieder Lügengeschichten auftischte, wenn sie ihn zur Rede stellte.
Trotzdem konnte sie die Gelegenheit heute natürlich nicht ungenutzt lassen herauszufinden, wer seine Affäre war. Sie hatte Susanne erklärt, dass sie ihm einfach folgen wolle um zu sehen, mit wem er sich träfe.  Susanne hatte sie allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass dies keineswegs so einfach war, schließlich wusste sie nicht, ob er zu Fuß, mit dem Auto, mit dem Rad oder mit der Bahn fahren würde. Da er ihr gesagt hatte, er wolle in die Stadt, würde er kaum zu Fuß gehen, das wäre unglaubwürdig. Das erschwerte es natürlich ungemein, ihm unauffällig zu folgen. Sie konnte ihm schlecht mit ihrem Rad hinterherfahren, falls er mit dem Rad fuhr, das würde er merken. Wenn er die Bahn nahm, musste sie die gleiche Bahn erwischen, da sie ja nicht wusste, wo er aussteigen würde und ihn dabei unauffällig zu beobachten, würde ebenfalls ziemlich schwierig werden. Ihm im Stadtverkehr unauffällig mit ihrem eigenen Auto zu folgen war ebenfalls fast ein Ding der Unmöglichkeit, da nicht wahnsinnig viele Menschen ein knalloranges Auto fuhren, da würde er sie ziemlich schnell entdecken. Sie hasste die Farbe ihres Autos gerade einmal wieder, aber es war günstig gewesen damals, deswegen hatte sie es genommen. Lars hatte gesagt, man könne es immer noch umlackieren, was bis heute nicht geschehen war.
Schließlich hatte Susanne vorgeschlagen, dass sie ihn mit ihrem Auto verfolgen konnten. Sie fuhr einen schwarzen Golf, davon gab es Tausende, insofern war es unauffällig und Lars würde vermutlich auch nicht darauf achten. Sollte er mit dem Rad fahren, könnten sie ihm mit einem gewissen Abstand ebenfalls folgen und auch falls er die Bahn nahm, könnten sie der Bahnstrecke folgen und an den Haltestellen darauf achten, wo er aussteigen würde, auch wenn dies sicherlich schwierig würde, aber sie waren ja zu zweit. Sie hatten ausgemacht, dass Ute sich um kurz nach zehn verabschieden würde, Lars hatte gesagt, er wolle gegen elf los. So konnte er sich in Sicherheit wiegen und sie würde gemeinsam mit Susanne im Auto etwas entfernt vom Haus warten und ihm dann folgen.
Ute war selten so nervös gewesen. Hoffentlich würde ihr Plan funktionieren und sie könnten Lars wirklich unauffällig folgen, ohne seine Spur zu verlieren. Die meiste Sorge machte ihr, falls er die Bahn nahm oder gar zu Fuß ging und einen Weg durch den Park nahm, dem sie mit dem Auto nicht folgen konnten. Aber vielleicht hatte sie ja Glück.

*****

Lars frohlockte. Ute hatte ihm gesagt, sie wolle ebenfalls noch einen kleinen Stadtbummel unternehmen mit Susanne und hatte sich bereits um kurz vor zehn verabschiedet, so dass er sich in Ruhe fertigmachen konnte, ohne dass er skeptische Blicke für seine Parfümierung oder Ähnliches fürchten musste. Er fühlte eine riesige Vorfreude auf Charlotte, trotz aller Probleme, die dieses Treffen möglicherweise umgaben.
Pfeifend verließ er das Haus und überlegte kurz, ob er das Auto oder die Bahn wählen sollte. Nach dem Treffen mit Charlotte musste er definitiv noch in die Stadt, um tatsächlich noch irgendein Geschenk für Ute zu besorgen, damit seine Ausrede auch Bestand hatte. Eigentlich sprach alles gegen das Auto, man bekam bei Charlotte erfahrungsgemäß keinen Parkplatz und am letzten Samstag vor Weihnachten mit dem Auto in die Stadt zu fahren, grenzte wohl auch an Selbstmord. Allerdings hasste er es, auf die Bahn angewiesen zu sein, zumal die sicherlich auch überfüllt war, so dass er dennoch das Auto nahm. Eventuell würde er statt in die Innenstadt hinterher nach Weiden ins Einkaufszentrum fahren, dort gab es ein Parkhaus und bei dem Regen machte es auch keinen Spaß auf der Ehrenstraße nach Geschenken Ausschau zu halten.
Er hatte Glück und fand recht schnell einen Parkplatz in der Nähe von Charlottes Wohnung. Gerade als er eingeparkt hatte, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte Brötchen zu besorgen. Aber auf der Hauptstraße in der Nähe gab es einen Bäcker, dann würde er dort vorbeigehen, bevor er zu ihrer Wohnung ging.

*****

Es hatte perfekt geklappt mit der Verfolgung. Lars hatte tatsächlich das Auto genommen und der Verkehr war so dicht, dass sie nicht auffielen, aber auch nicht zu dicht, so dass sie ihn nicht im Gewusel verlieren konnten. Schließlich hatte er in einer kleinen Straße in der Nähe der Universität geparkt. Susanne hatte Abstand gehalten, sie waren 200 Meter hinter ihm, gerade am Anfang der Straße und wollten beobachten, wohin er gehen würde. Er hatte schon angefangen, in die Gegenrichtung zu gehen, als er es sich plötzlich anders überlegte, umdrehte und ihnen entgegenlief. Susanne hatte keine Chance zu wenden, da es sich um eine der unzähligen Einbahnstraßen der Gegend handelte. Entsetzt hatte Ute Susanne angestarrt.
„Bück dich runter, dann sieht er dich nicht! Ich gebe Gas und wir fahren an ihm vorbei, dann erkennt er mich auch nicht.“, reagierte Susanne flink und trat bereits auf’s Gaspedal.
Ute tat wir ihr geheißen und tauchte erst wieder auf, als sie um die nächste Kreuzung gebogen waren und er sie sicher nicht mehr sehen konnte.
„Und nun? Jetzt haben wir ihn verloren.“, stieß Ute mit enttäuschter Stimme hervor.
„Haben wir nicht, ich habe eine Idee! Wir wechseln den Platz, du fährst mit meinem Auto über die Zülpicher Straße und parkst auf der anderen Seite der Zülpicher Straße in einer Nebenstraße. Da wird er wohl nicht hingehen, ich denke, er will irgendwo hier in den Bereich. Da wartest Du, ich ruf Dich an. Ich zieh mir jetzt die Kapuze ins Gesicht, beim dem Regen fällt das nicht auf, und versuche, ob ich ihn finde und werde ihm folgen. Na los!“
Ute starrte Susanne immer noch perplex an, während diese bereits aus dem Auto gesprungen war und sich die Kapuze tief ins Gesicht schnürte. Dann kam Ute endlich wieder zu sich und wechselte geschwind auf die Fahrerseite.
„Ich meld mich gleich!“, rief Susanne und rannte los um die Ecke und die Straße hinauf in die Richtung, in der Lars verschwunden war.

Ute hatte das Auto in der Nähe der Universitätsklinik geparkt und wartete voller Nervosität, dass Susanne endlich anrufen würde. Nachdem sie bereits ihren zweiten Nagel blutig gekaut hatte – sie hasste diese Angewohnheit an sich – klingelte endlich ihr Handy. Susanne erkundigte sich nach ihrem Standort und sagte, sie wäre in zehn Minuten da und würde ihr dann alles erzählen, aber sie habe Lars gefunden. Ute fühlte, wie ihr Herz endgültig in die Hose rutschte, obwohl sie erfolgreich gewesen waren. Sie hatte Mühe die Tränen zurückzuhalten und bis Susanne da war, war ein dritter Nagel ihrer Nervosität zum Opfer gefallen.

„Hat er dich gesehen?“, war das Erste, womit sie Susanne begrüßte, als diese sich patschnass auf den Autositz sinken ließ.
„Ach was, ich glaube, der hat gar nichts wahrgenommen, der hat überhaupt nicht auf seine Umgebung geachtet, sondern kam gerade völlig verstrahlt grinsend aus der Bäckerei vorne an der Ecke, als ich dort ankam. Um ein Haar wäre ich noch in ihn reingerannt, aber er hatte überhaupt keine Augen für irgendwas, sondern hatte es scheinbar sehr eilig.“
„Weißt du, wo er hingegangen ist?“
„Ja, und ich weiß sogar ziemlich sicher, wo er geklingelt hat.“
Einigermaßen stolz strahlte Susanne sie an.
„Und wo?“, fragte Ute ungeduldig und hatte innerlich das Gefühl, als müsse sie gleich sterben.
„Eins von diesen Mietshäusern in der Nikolausstraße, ich hab die Hausnummer im Handy notiert,
gebe ich dir nachher. Ich konnte nicht hundertprozentig erkennen, wo er genau geklingelt hat, aber
auf zwei Namen konnte ich es einschränken. Entweder bei Holzheim oder bei Rudolf, sagt dir einer dieser Namen etwas?“
Ute hatte nur noch matt nicken können. Natürlich, darauf hätte sie kommen können. Charles – Lotte – Charlotte Holzheim. Eine gute Freundin von Doro und mit Sicherheit die Bäckerin dieser verdammten Plätzchen in der Hasentüte.
Ute riss die Autotür auf. Sie musste sich übergeben.


*****

Zufrieden machte Lars sich auf den Weg nach Weiden. Das Gespräch mit Charlotte war sehr gut gewesen. Und nicht nur das Gespräch. Sie hatten zuerst gemeinsam gefrühstückt und sich dabei ausgesprochen. Er hatte sie beruhigen können, ihr versichert, dass sie ihm wirklich das Wichtigste war und er nach Weihnachten definitiv die Sache mit Ute angehen würde. Ihre Zweifel hatte er ausräumen können. Im Gegenzug hatte sie zugegeben, tatsächlich hauptsächlich aus Rachegelüsten hinaus mit Jan ins Bett gegangen zu sein, ihm aber auch ehrlich gestanden, dass es bereits wieder gekracht hatte zwischen ihnen und ihm von dieser Seite mit Sicherheit keine Konkurrenz drohe. Damit hatte er leben können und so waren sie nach dem Frühstück auf Charlottes Bett übereinander hergefallen, damit keiner von ihnen an diesem Tag noch einen Grund haben würde, sich anderweitig einen Ausgleich zu suchen. Tatsächlich hatten sie gleich dreimal miteinander geschlafen und Lars befürchtete, er hatte seine Pulver nicht nur für den heutigen Tag verschossen. Am liebsten wäre er danach einfach in ihrem Bett liegengeblieben und hätte geschlafen, aber er hatte noch Geschenke zu besorgen und wollte seinen Vorwand mit den Geschenken auch nicht überstrapazieren, er hatte Ute versprochen, spätestens am späten Nachmittag zurück zu sein und es war bereits fast halb vier gewesen, als er bei Charlotte aufbrach.

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