Dienstag, 4. Dezember 2012

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Dienstag, 4. Dezember

Müde betrat Lars sein Büro an der Uni. Er hatte nicht viel Schlaf gehabt. Gestern Abend war er noch mit Kollegen aus gewesen und hatte die Nacht nicht in seiner Wohnung verbracht. Es war spät geworden und am Ende waren er und Chloé die Letzten in der Bar gewesen. Chloé war früher Doktorandin am Institut gewesen, arbeitete aber nun als Lehrerin. Trotzdem waren die Freundschaften zu den Kollegen erhalten geblieben und so hatte Yanis sie heute Abend mit in die Bar gebracht. Lars hatte sie das erste Mal getroffen, er kannte sie zuvor nur von den Erzählungen der Kollegen, vorwiegend Yanis‘, der sie seit Jahren vergötterte, aber bisher nicht hatte bei ihr landen können. Nun hatte er gewollt, dass Lars sie kennenlernte, damit er ihm, als „erfahrener Verführer“, wie Yanis betont hatte, den ultimativen Rat geben könne, wie Chloé zu knacken sei. Dass Lars es direkt bis zum bitteren Ende austestete, war sicherlich nicht Teil von Yanis‘ Plan gewesen, auch nicht Lars‘ Absicht, aber es hatte sich so ergeben. Im Nachhinein hatte er schon ein klein wenig ein schlechtes Gewissen dem Kollegen gegenüber, aber andererseits brauchte er es nie erfahren und er hatte Yanis auch nichts verbaut. Er hatte sich ganz einfach sehr gut mit Chloé unterhalten, sie war hochintelligent und schlagfertig und sie hatten voll auf einer Wellenlänge gelegen. Sie hatten wirklich sehr lange nur über Fachliches gesprochen, vielleicht hatte Yanis deswegen auch keine Bedenken, als er sich irgendwann gegen Mitternacht, als alle anderen Kollegen längst gegangen waren, auch von ihnen verabschiedete. Gegen 1 Uhr wurden sie dann hinauskomplimentiert und Chloé fragte ihn, ob sie ihre Unterhaltung nicht noch bei einem Kaffee in ihrer Wohnung fortführen wollten, sie wohne gleich um die Ecke. Er hatte zugestimmt und sobald sie auf ihrem Sofa saßen, fragte sie ihn plötzlich offen, ob es nun nicht an der Zeit sei miteinander zu schlafen. Lars hatte dies nicht unbedingt erwartet, jedenfalls nicht in dieser Form, aber ihre offene Art faszinierte ihn, zumal sie, nachdem er im ersten Moment wohl ein wenig irritiert schaute, sofort mit bestimmter Stimme hinterhersetze, dass es ihr nur um Sex ginge, keine Verpflichtungen, kein Wiedersehen, schon gar keine Gefühle, einfach nur Spaß haben, jetzt sofort. Er gefalle ihr und er sehe ihr so aus, als könne man mit ihm Spaß haben. Lars leistete keinerlei Widerstand. Er mochte solchen Sex, ohne Verpflichtungen, ohne Gefühle ohne Chaos hinterher. Es war das, was er seit Jahren betrieb.
Sie waren animalisch übereinander hergefallen und erst gegen 5 Uhr morgens war er zum Schlafen gekommen. Allerdings war ihre Matratze so weich, dass er nicht wirklich Schlaf gefunden hatte und um 7 Uhr hatte er schon wieder aufstehen müssen, da er um 8 Uhr eine Besprechung in der Uni hatte. Er war schnell unter die Dusche gesprungen und hatte versucht zu retten, was zu retten war. Ganz abgesehen davon, dass er mit der Kleidung des gestrigen Abends in die Uni musste. Er war zwar immer auf sein Äußeres bedacht, aber trotzdem war er legerer angezogen als er es in der Regel in der Uni war. Als er unter der Dusche gestanden hatte, hatte Chloé sich noch einmal zu ihm gestellt und nur gemurmelt, sie müsse ebenfalls um 8 Uhr in der Schule sein und habe keine Zeit zu warten, bis die Dusche frei würde. Natürlich blieb es nicht beim Duschen und so war er erst um halb neun in der Uni eingetroffen. Glücklicherweise hatte sein Kollege nicht weiter nachgefragt und er hatte nur etwas gemurmelt, dass er keinen Parkplatz gefunden habe, was immer eine gute Ausrede war.

Nun hatte er also die Besprechung hinter sich gebracht und beschloss, vor seiner nachmittäglichen Vorlesung noch schnell zu seiner Wohnung zu fahren und sich umzuziehen. Allerdings hatte er noch einige Stunden Zeit und beschloss, zuerst noch den Mailverkehr abzuarbeiten. Neben einigen Mails von Studenten, die alle nicht eilten, hatte er eine von Charlotte. Er zögerte kurz, dann öffnete er sie.
Als würde sie es riechen, dachte er sich. Ausgerechnet gestern hatte sie nach seinem Abend gefragt. Sie hatte wirklich ein Gespür, das war von Anfang an der Fall gewesen. Glücklicherweise hatten nur wenige Frauen so ein gutes Gespür wie Charlotte und noch glücklichererweise gehörte Ute nicht zu ihnen. Er beschloss, ihr direkt zu antworten. Sie würde unwillig werden, wenn er sie warten ließe. Außerdem war ihm gerade danach, er hatte einen angenehmen Schauer gefühlt beim Lesen ihrer Mail, als die Erinnerungen an letzten Winter wieder hochkamen, wo sie tatsächlich die Dreistigkeit besessen hatte, in einem Hauch von Nichts unter ihrem Wintermantel in der Uni beim ihm aufzuschlagen. Sie hatte ihn rasend gemacht mit ihren Stiefeln und der dünnen Strumpfhose, die auch noch vom Schnee durchnässt gewesen war und dann diesem Mantel, von dem ihm sofort klar war, dass sie nicht viel darunter haben konnte. Und sie es wirklich nach allen Regeln der Kunst auf die Spitze getrieben. Sich ihm gegenüber gesetzt, den Mantel geöffnet, unter dem dieses… wie sollte man es nennen… Negligé? zum Vorschein kam, dessen Rocksaum sie immer höher gezogen hatte, während sie ganz trocken weiter über fachliche Probleme ihrer Hausarbeit mit ihm redete, die sie ja überhaupt nicht geschrieben hatte. Es hatte ihn um den Verstand gebracht, diese Hilflosigkeit, er musste sie ansehen und konnte nichts tun, weil er wusste, dass durch diese dünnen Wände sofort alle alles live mithören könnten. Am liebsten hätte er sie auf den Schreibtisch geworfen, stattdessen gab er sich Mühe, ihr möglichst sachlich zu antworten und das Spiel mitzuspielen, auch wenn er nicht mehr wusste, wo er hingucken sollte. Zum Schluss hatte sie sich einfach wieder den Mantel übergezogen und war gegangen. Er wäre ihr am liebsten nach Hause gefolgt, aber es ging nicht, er wurde zu Hause zum Abendessen erwartet.
Er dachte noch, wie glücklich er sich schätzen konnte, dass es mit Charlotte gekommen war, wie es war, dass sie dank ihres Ausrasters so völlig offen miteinander geredet hatten und sie sich darauf eingelassen hatte. Er kannte keine Frau wie Charlotte. Leider hatte er sie zu spät erkannt. Er verwarf diese Gedankengänge und klickte auf „Antworten“.



Betreff: Rosenrots Riecher
11:10 04.12.2012

Liebe Frau Rosenrot,

alle Achtung, Ihr Riecher ist untrüglich!

Charlotte, ich weiß nicht, was Du hast, was die anderen nicht haben, aber Du stellst tatsächlich Deine Nachfragen immer treffend. Ich war gestern Abend mit Kollegen aus, es ist spät geworden und es gab Fleisch. Aber das nur am Rande, es fasziniert mich nur gerade.

Es freut mich, dass meine Rosen also offensichtlich doch ein wenig – wenn nicht zu Deiner Freude, so doch wenigstens zu Deiner Erheiterung? – beitragen konnten. Du verzeihst mir also und siehst hoffentlich von fürchterlicher Rache ab, wenn wir uns am Freitag sehen, worauf ich mich im Übrigen schon sehr freue, auch wenn Deine Ankündigung dramatisch klingt.

Noch mehr freute mich allerdings, meine liebste Charlotte, dass Du so freundlich warst, die Erinnerungen an diese spannende Begegnung letzten Winter wieder wach werden zu lassen. Das war ja fast wie eine Adventskalendermail.
Diese Erinnerungen lassen meine Vorfreude auf Freitag noch mehr steigen. War es in diesem Moment auch eine Qual, so war es doch eine sehr schöne und die Erinnerungen daran werden durch die Intensivität des Erlebten wohl auch nie verblassen, während alles andere doch flüchtig ist, wie Du weißt, also nimm bitte keine Rache an mir wegen dem ersten Absatz dieser Mail.

In freudiger Erinnerung an Deinen Wintermantel

Lars



Lotte arbeitete gerade an einem Referat, als eine neue Mail aufleuchtete. Lars.

Lotte schüttelte den Kopf. Hatte sie es doch geahnt. Sie musste grinsen. Er hatte die Fleischvokabel wieder eingebracht. Am Anfang ihrer Korrespondenz hatte sie es nicht zu deuten gewusst und hatte sich gewundert, warum er jeden Abend Unmengen an Fleisch verspeiste, bis sie dahinter gestiegen war, was für Fleisch er da gerade in Stockholm wirklich verspeiste.
Sie beschloss, dass er eine kleine Rache durchaus verdient hatte. Heute war Barbara und früher war es bei ihr in der Familie Brauch gewesen, dass sie und ihre Schwester am Abend des 3. Dezember ihre Schuhe putzen mussten und wenn sie sauber genug waren, fanden sie am nächsten Morgen Süßigkeiten von der Barbara darin vor. Lars‘ gestriger Abend war eindeutig nicht sauber gewesen und so sollte ihn die Strafe der heiligen Barbara ereilen. Sie kramte unter dem Bett nach ihren hohen schwarzen Lederstiefeln, die vorne spitz zuliefen. Lars konnte sie nicht ausstehen, er fand sie zu böse, für ihn mussten Stiefel abgerundete Spitzen haben, hatte er ihr erklärt. Sie zog die Stiefel an und das Negligé, was sie letzten Winter unter dem Mantel getragen hatte. Dann positionierte sie ihre Kamera auf dem Regal, so dass der Auslöser genau auf ihren Schuhschrank gerichtet war und programmierte den Selbstauslöser, bevor sie sich mit Negligé und Stiefeln auf dem Schuhschrank positionierte. Nach sieben Versuchen hatte sie ein passendes Foto mit dem Selbstauslöser eingefangen. Sie übertrug es auf den Rechner und hängte es an die Mail für Lars an.



Betreff: 4 (Barbara)
12:11 04.12.2012

Böser Lars,

heute ist Barbara. Weißt Du, was das bedeutet? Am Vorabend von Barbara stellen brave Menschen ihre geputzten Schuhe raus und dann füllt die Barbara dort Süßigkeiten hinein. Mir schwant, Dein gestriger Abend war eher dreckig, insofern gibt es wohl leider keine Süßigkeiten für Dich. Wie hieß denn Dein Braten? (Nur, weil ich die französischen Namen so mag…)
Tja, die bösen Kinder bekommen vom Nikolaus die Rute, aber von der Barbara? Die Barbara dachte sich, die Rute war ja gestern Abend im Einsatz und etwas mit Schuhen sollte es schon zu tun haben, insofern findest Du das, was die Barbara den bösen Jungen bringt im Anhang. Beste Grüße soll ich Dir bestellen. (Und ich hoffe, das Fleisch hieß nicht Barbara.)

Ich verkneife mir weitere Kommentare und widme mich wieder sinnvollen Dingen…

Lotte

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