Samstag, 5. Januar 2013

Samstag, 05. Januar 2013

Lars war gestern nicht mehr dazu gekommen Charlotte zu antworten. Am Nachmittag hatte er eine Besprechung mit Kollegen aus Köln gehabt, mit denen er gemeinsam an einer Veröffentlichung arbeitete und das Gespräch hatte deutlich länger gedauert, als geplant gewesen war. Nach der Besprechung waren sie gemeinsam in die Altstadt gegangen, um dort noch ein oder zwei Kölsch zu trinken und am Ende waren es ein oder zwei mehr gewesen, jedenfalls war er erst gegen Mitternacht wieder daheim gewesen und ziemlich angezwitschert, was ihm den Unmut Utes eingebracht hatte, obwohl er sie per SMS über seine Verspätung informiert hatte. Aber zwei Abende hintereinander erst um Mitternacht nach Hause zu kommen war wohl mehr, als sie vertragen konnte. Immerhin hatte er sich gestern Abend keine Vorwürfe machen und sie nicht über seine Aktivitäten belügen müssen. Auch wenn seine Alibis stets perfekt organisiert waren, fühlte er sich besser, wenn die Geschichten stimmten, die er erzählte. Trotzdem er ihr in allen Details beim Frühstück vom gestrigen Abend berichtet hatte, zog sie ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter und fixierte ihn die ganze Zeit mit zusammengekniffenen Augen. Auf seine Frage, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei, reagierte sie noch gereizter und hatte in vernichtendem Tonfall geantwortet, es sei offensichtlich alles in bester Ordnung, solange er nur seinen Spaß habe. Er war sich nicht sicher gewesen, worauf sie anspielte und hatte es für das Beste gehalten, einfach nichts mehr zu erwidern. So war es dazu gekommen, dass sie sich seit dem Frühstück anschwiegen. Inzwischen war es Nachmittag und er hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Auch wenn er aufgrund der aktuellen Stimmungslage nicht davon ausging, dass er damit rechnen musste, dass sie das Zimmer betrat, wollte er mit der Mail an Charlotte warten, bis Ute mit dem Hund rausging. Vielleicht könnte er Charlotte dann sogar kurz anrufen, er würde gerne ihre Stimme hören. Eigentlich würde er sie sogar gerne noch einmal treffen, bevor er sich morgen Abend wieder auf den Weg nach Paris machte. Er überlegte, ob es wohl ein zu großes Risiko war, sie zu bitten morgen zum Bahnhof zu kommen und sich dort vor seiner Abreise mit ihr auf einen Kaffee zu treffen. Er könnte einfach etwas zeitiger als sonst zum Bahnhof, dafür würde ihm ein Grund einfallen. Die Frage war nur, ob das Risiko nicht zu hoch war, dort von irgendwem gesehen zu werden, der sie kannte. Der Kölner Hauptbahnhof war wie ein riesiger Bienenstock, dort würden sie im Getümmel nicht weiter auffallen. Andererseits war der Teufel ein Eichhörnchen und bei so vielen Menschen an solch einem zentralen Ort konnte rasch auch mal einer dabei sein, den man kannte. Andererseits, er könnte ja auch Charlotte zufällig begegnet sein. Es sprach schließlich nichts dagegen, gemeinsam einen Kaffee zu trinken, wenn man sich zufällig irgendwo traf. Vielleicht sollte er es einfach darauf ankommen lassen, ob sie überhaupt Zeit hatte. Er hörte die Tür ins Schloss fallen und wählte ihre Nummer. Nach dem zweiten Klingeln hob sie ab.

"Hallo?"
"Hallo Charlotte, ich bin's. Ich hoffe, ich störe nicht?"
"Lars, was für eine Überraschung! Aber nein, ganz und gar nicht."
"Ich wollte gerade auf deine Mail antworten, ich war gestern nicht mehr dazu gekommen, wir hatten noch eine Besprechung, die im Brauhaus geendet hat und es ist spät geworden. Danach war ich nicht mehr nüchtern genug, um dir zu antworten, da wäre nichts Gutes bei rumgekommen..."
"Oh, das hättte ich aber sehr gerne gelesen. Du weißt doch, kleine Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit." Sie lachte.
"Die sage ich dir immer, meine Liebe. Dir schon!"
"Na dann... dann sag mir doch mal, was Ute zu meiner Besitzmarkierung auf deinem Rücken gesagt hat."
"Hast du das etwa absichtlich gemacht?! Charlotte!"
"Ich dachte, du wolltest es jetzt sowieso angehen..."
"Ja, aber das wann und wie überlässt du bitte mir!"
"Jetzt reg dich ab, es war keine Absicht! Hat sie es gesehen?"
"Keine Ahnung, ich denke nicht. Wäre es auf ihrer Wäsche gewesen, hätte sie es gesehen, für andere Dinge scheint sie momentan keine Augen zu haben."

"Wie kommt es eigentlich, dass Du anrufst?"
"Sie ist gerade mit dem Hund raus und ich hatte Sehnsucht, also dachte ich mir, ich nutze die Gelegenheit."
"Das freut mich. Es ist schön, dich zu hören."
"Ich würde dich gerne nochmal sehen, Charlotte. Hast du morgen Nachmittag Zeit? Ich habe mir gedacht, wir könnten uns eventuell auf einen Kaffee am Bahnhof treffen, bevor ich den Zug nehme?"

"Sorry, aber morgen Nachmittag ist ganz schlecht, ich habe versprochen, dass ich Hannah zum Flughafen fahre."
"Wer in aller Welt ist Hannah?"

"Meine ehemalige Nachbarin von nebenan. Sie fliegt morgen für sechs Wochen nach Amerika und ich bring sie zum Flughafen, weil ihr Bruder kurzfristig krank geworden ist. Aber du könntest zum Frühstück kommen, wenn du magst?"
"Mögen schon, aber das kann ich Ute schlecht erklären."
"Lass dir halt was einfallen. Oder sag ihr gleich die Wahrheit!"

"Charlotte, du weißt doch, dass das so einfach nicht geht..."
"Dann überleg dir eine Ausrede. Du musst ja nicht lange bleiben, nur ein Stündchen oder so."
"Das geht nicht. Um wieviel Uhr musst du denn diese Hannah wegbringen?"
"Ich habe bis 13 Uhr Zeit, dann muss ich los."
"Also schön, pass auf. Ich habe den Thalys um16:42 Uhr gebucht, aber dann tue ich einfach so, als hätte ich den um 12:43 Uhr, ich hatte Ute die genaue Zeit noch nicht genannt. Wenn ich vorgebe den Zug zu nehmen, könnte ich gegen kurz nach halb zwölf bei dir sein, dann haben wir wenigstens noch ein bisschen Zeit. Darf ich die Zeit, bis ich um 16 Uhr wirklich los muss zum Bahnhof dann in deiner Wohnung arbeiten?"
"Das würdest du wirklich tun? Lars, das ist ja wirklich Einsatz! Natürlich darfst du dann in meiner Wohnung bleiben, du wirst wohl nicht meine Unterwäsche verscherbeln oder die Leichen aus dem Keller holen."

"Natürlich nicht, ich will doch nicht, dass ein anderer Kerl dir an die Wäsche geht."
"Du mir denn?" Sie lachte.
"Wenn ich darf..."
"Und was machst Du, wenn ich wieder keine anziehe?"
Ihre Stimme klang triumphierend und er musste lachen.
"Dann komme ich wahrscheinlich früher..."
"Und was muss ich machen, damit du gleich kommst?"
"Mir noch ein paar schöne Sachen erzählen. Du bist schon auf einem ziemlich guten Weg, Madame..."
Er ließ sich tiefer in den Schreibtischstuhl sinken und machte es sich bequem...

*****

Ute war gerade zwei Minuten mit Hugo unterwegs, als es zu regnen begann. Sie hatte noch gedacht, ob sie nicht besser einen Schirm mitnehmen sollte, es dann aber gelassen, weil es den ganzen Tag schon grau gewesen war ohne zu regnen. Kurz entschlossen drehte sie um, um doch noch einen Schirm zu holen. Als sie in den Flur trat, hörte sie Lars reden. Eigentlich hatte sie wirklich nicht zuhören wollen, sie hatte gerade den Schirm gepackt und wollte wieder gehen, als seine Stimme plötzlich lauter wurde. Er klang ein wenig ärgerlich. Seine Worte ließen sie erstarren. "Charlotte, du weißt doch, dass das so einfach nicht geht..." 
Er telefonierte also mit dieser verdammten Charlotte Holzheim. Sie blieb ganz still stehen und lauschte. Doch nun redete er wieder leiser und sie konnte bestenfalls Bruchstücke des Gesprächs erahnen. Sie hoffte innig, dass der Hund keinen Mucks machen würde, schließlich wähnte Lars sie auf dem Spaziergang, ansonsten hätte er dieses Miststück wahrscheinlich gar nicht angerufen. Sie fragte sich, wie oft er wohl mit ihr sprach, wenn sie nicht in der Nähe war und spürte, wie ihre Knie weich wurden. So leise sie konnte, näherte sie sich der Tür seines Arbeitszimmers noch ein wenig. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, während sie angestrengt lauschte.

"... dann in deiner Wohnung bleiben? ... dir an die Wäsche geht.... Dann komme ich wahrscheinlich früher..."  
Sie verstand wieder nichts mehr, aber ihr war jetzt schon übel. Sie hörte, wie er auf seinem Schreibtischstuhl herumrutschte. Wahrscheinlich war jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sie spätestens gehen sollte, aber sie war wie gelähmt. Sie ahnte, was kommen würde und sie wollte es nicht hören, aber sie konnte auch nicht weg.
"So, was machst du denn Schönes mit deiner Hand? ... ja, ich spüre es... schon ganz hart..."
Plötzlich fing Hugo an unruhig zu werden. Hektisch hielt sie ihm das Schnäuzchen zu, schnappte ihn und verließ das Haus. Sie hatte genug gehört und wollte nur noch weg. Sie fühlte so einen unglaublichen Ekel vor Lars und gleichzeitig eine Wut und Hilflosigkeit.
Nachdem sie eine Stunde lang ziellos durch den Park gelaufen war, rief sie Susanne an. Sie kam sie mit dem Auto abholen. Sie wollte jetzt nicht zurück zu Lars in die Wohnung, unter keinen Umständen. Sie musste erst mit Susanne besprechen, was sie nun tun sollte und außerdem war sie so fertig, so wollte sie ihm nicht gegenübertreten.

Nach zwei Stunden Gespräch mit Susanne machte sie sich schließlich auf den Heimweg. Lars hatte inzwischen fünfmal auf ihrem Handy angerufen. Wahrscheinlich wunderte er sich, wo sie drei Stunden mit dem Hund blieb. Schadete ihm überhaupt nichts, dass er sich auch mal Sorgen machte, es würden nicht ansatzweise so viele Gedanken gewesen sein, wie sie sie die letzten beiden Abende ausgestanden hatte. Er würde sich wundern. Ab jetzt wurden andere Seiten aufgezogen. Susanne hatte sie beruhigen können und sie hatten einen Plan. Dank ihrer Aufbauarbeit fühlte sie sich nun der Situation gewachsen, Lars gegenüberzutreten. Sie musste ganz ruhig bleiben. Ein Glück, dass er sie nicht bemerkt hatte während des Telefonats. Susanne hatte sie davon überzeugt, dass es das Beste war, weiterhin zu schweigen und Informationen zu sammeln, bevor sie ihn wirklich zur Rede stellte. Und vorallem an ihrer Beziehung zu arbeiten, da sie ihn ansonsten am Ende tatsächlich an diese Charlotte verlieren würde. Sie brauchte mehr Informationen über sie. Vielleicht könnte sie gleich über die Wahlwiederholung im Telefon wenigstens ihre Telefonnummer in Erfahrung bringen. Man konnte schließlich nie wissen, ob sie nicht in nächster Zeit doch einmal das Gespräch zu ihr suchen musste...






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